Änderung der Psychotherapie-Richtlinie

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinie beschlossen. Die neue Psychotherapie-Richtlinie tritt am 01. April 2017 in Kraft. Mit der Neuregelung der Psychotherapie-Richtlinie müssen PsychotherapeutInnen mit Kassenzulassung u.a. pro Woche bestimmte Zeiten für psychotherapeutische Sprechstunden und telefonische Erreichbarkeit vorhalten. Unten angegebene Zeiten beziehen sich auf PsychotherapeutInnen mit einem ganzen Kassensitz. Die wichtigsten Änderungen im Überblick sind:

  • Psychotherapeutische Sprechstunde
  • Akutbehandlung
  • Telefonische Erreichbarkeit
  • Kurz- und Langzeittherapie
  • Rezidivprohylaxe

Psychotherapeutische Sprechstunde
Vor Beginn einer Psychotherapie müssen sich PatientInnen in einer psychotherapeutischen Sprechstunde vorstellen.
In der psychotherapeutischen Sprechtunde wird abgklärt, ob bei der PatientIn eine psychische Störung nach ICD (Diagnosemanual) vorliegt und eine Richtlinienpsychotherapie erforderlich ist.
Die Dauer eines Termins in der psychotherapeutischen Sprechstunde beträgt 25 Minuten.
Erwachsene können maximal 150 Minuten Sprechstundenzeit in Anspruch nehmen.
PsychotherapeutInnen sollen pro Woche 100 Minuten Sprechstunde anbieten. Sie können feste Zeiten für eine offene Sprechstunde einrichten oder Termine vergeben.

Akutbehandlung
Die neue Akutbehandlung ist zur Behandlung akuter psychischer Krisen gedacht.
Ziel ist die Abwendung von Arbeitsunfähigkeiten und/oder einer Klinikeinweisung. Bis zu 24 Gesprächseinheiten á 25 Minuten sind möglich.

Telefonische Erreichbarkeit
Für eine Verbesserung der telefonischen Terminvereinbarung müssen PsychotherapeutInnen pro Woche 200 Minuten persönlich erreichbar sein. Diese Leistung kann an Praxispersonal delegiert werden.

Kurz- und Langzeittherapie
Kurzzeittherapien
sind antragspflichtig und können bis zu 24 Therapiestunden á 50 Minuten umfassen. Die Beantragung erfolgt in zwei Schritten mit einem Kontingent von jeweils 12 Stunden. Anträge müssen von den Krankenkassen innerhalb von drei Wochen genehmigt werden.
Langzeittherapien sind gutachterpflichtig und können mit einem Kontingent von mehr als 24 Therapiestunden á 50 Minuten beantragt werden. Die Höchstgrenzen der maximal möglichen Therapiestunden variieren je nach Psychotherapieverfahren, bleiben aber insgesamt unverändert.

Rezidivprohylaxe
Am Ende einer Langzeittherapie kann eine Rezivprohylaxe durchgeführt werden. Das Ziel der Rezivprohylaxe ist die Vermeidung eines Rückfall nach einer abgeschlossene Langzeitpsychotherapie.
Bei einer Behandlung mit mehr als 40 Therapiestunden stehen maximal 8 Stunden für die Rezidivprohylaxe zur Verfügung. Bei mehr als 60 Therapiestunden sind es max. 16 Stunden. Die Stunden für die Rezidivprohylaxe sind im Gesamtkontingent der beantragten Langzeittherapie bereits enthalten und können bis zu 2 Jahre nach Abschluss der Therapie in Anspruch genommen werden.

Pro & Contra

Therapiesuchenden zukünftig einen zeitnahen Kontakt zu einer PsychotherapeutIn zu ermöglichen, ist sehr zu begrüßen. Derzeit liegen Wartezeiten für einen Psychotherapieplatz bundesweit bei ca. 6 Monaten und mehr. Durch die Einrichtung der psychotherapeutischen Sprechstunde können Betroffene kurzfristig einen ersten Termin bekommen und sie erhalten schnell eine erste Auskunft über mögliche Hilfen.
Eine bessere telefonische Erreichbarkeit von PsychotherapeutInnen ist aus PatientInnensicht auch dringend erforderlich. Auf der Suche nach einem Psychotherapieplatz erreichen Betroffene oft nur den Anrufbeantworter von Psychotherapiepraxen. Die Bitte um Rückruf bleibt nicht selten unbeantwortet.

Kritik an der neuen Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) kommt von niedergelassenen TherapeutInnen und u.a. auch von der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (Link s.u.).

Die neue G-BA-Richtlinie soll für eine schnelle Verfügbarkeit psychotherapeutischer Behandlung sorgen. An der bestehenden Auslastung von kassenzugelassenen PsychotherapeutInnen ändert sich durch die neue Richtlinie aber nichts. Die neue Regelung ist darüber hinaus auch mit zusätzlichem Aufwand für eine veränderte Dokumentationspflicht verbunden.
Die Kapazitäten psychotherapeutischer Praxen werden zugunsten einer kurzfristig möglichen Erstversorgung verschoben. PsychotherapeutInnen müssen Zeiten für telefonische Erreichbarkeit und psychotherapeutische Sprechstunden vorhalten. Diese an sich positiven Änderungen gehen zu Lasten der verfügbaren Anzahl von Therapieplätzen für Kurz- und Langzeittherapien.

Für eine Kurzzeittherapie muss nach der Beantragung der ersten 12 Stunden erneut ein Antrag für weitere 12 Stunden gestellt werden. Neben dem bürokratischen Mehraufwand wird damit die Behandlung unterbrochen. Der für einen Therapieerfolg wichtige Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Allianz zwischen TherapeutIn und PatientIn wird so gefährdet. Die Erfahrung zeigt auch, dass durchschnittlich erst nach ca. 15-20 Therapiestunden eine deutlich erkennbare Besserung der Beschwerden eintritt.
Für die Rezidivprohylaxe sind keine zusätzlichen Stunden für eine „ausschleichende Behandlung“ zur Verhütung von Rückfällen vorgesehen. Die für die Rezidivprohylaxe zu nutzenden Stunden müssen aus dem bewilligten Stundenkontingent der Langzeittherapie bereitgestellt werden. Außerdem muss bereits im Antrag einer Langzeittherapie angegeben werden, ob und in welchem Umfang eine Rezidivprophylaxe benötigt wird. Zu diesem Zeitpunkt kann oft noch nicht eingeschätzt werden, ob am Ende einer Langzeittherapie die Notwendigkeit für eine Rezidivprohylaxe bestehen wird.
Eine Erhöhung der Stundenkontingende für eine Langzeittherapie ist nicht vorgesehen. Bei bestimmten psychischen Störungen reichen die bisherigen Höchstgrenzen aber bei Weitem nicht aus. Beispielsweise wären bei schweren chronischen Traumafolgestörungen Stundenkontingente mit bis zu mehreren hundert Therapiestunden erforderlich.
Durch die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie entstehen keine neuen Psychotherapieplätze für Kurz- und Langzeittherapien.

Wünschenswert wäre, wenn die Forderung der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) nach fachlicher Überarbeitung noch vor Inkrafttreten der G-BA-Richtlinie Gehör finden würde (s.u.).

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie im Einzelnen auf die derzeit völlig unzureichende psychotherapeutische Versorgung von PatientInnen und die ohnehin hohe Arbeitsbelastung von PsychotherapeutInnen auswirken wird.


Zum Weiterlesen:

DPtV kritisiert Beschluss zur Änderung der Psychotherapie-Richtlinie und fordert fachliche Überarbeitung – Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV)

Das große G-BA-Placebo – Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer

Richtlinie des Gemein­samen Bundes­aus­schuss (G-BA) für die Durchführung der Psychotherapie ab 01.04.2017

Reform der Psychotherapie-Richtlinie: Details der Änderungen ab 01.04.2017 – Kassenärztliche Vereinigung (KBV)

Psychotherapeutische Sprechstunde eine positive Neuerung – BundesPsychotherapeutenKammer (BPtK)

Psychotherapeutische Versorgung wird erweitert und flexibler – Kassenärztliche Vereinigung (KBV)


Nachtrag:

Ein Jahr nach Inkrafttreten der Reform der Psychotherapie-Richtlinie veröffentlichte die BundesPsychotherapeutenKammer (BPtK) eine Studie, für die approbierte PsychotherapeutInnen mit Kassenzulassung befragt wurden – mit verheerendem Ergebnis. „Die Reform hat keine einzige zusätzliche Behandlungsstunde geschaffen.“ (Dietrich Munzin, BPtK-Präsident)
Obwohl PsychotherapeutInnen seit der Reform zusätzlich 40 Minuten pro Woche darauf verwenden, ihren PatientInnen aus der psychotherapeutsichen Sprechstunde bei der Suche nach einem Therapieplatz bei einer KollegIn zu helfen, gelingt dies nur ca. in jedem zweiten Fall. Krankenkassen sollen ihren Versicherten unzutreffenderweise auch mitgeteilt haben, dass das Kostenerstattungsverfahren seit der Reform nicht mehr existiere, wodurch die Versorgungslage unnötig noch weiter verschärft wird.
In dem Artikel „Reform der Psychotherapie-Richtlinie“ (blog-gestalttherapie-luebeck.de) sind Infos zur BPtK-Studie und den Recherchen von SPIEGEL ONLINE und NDR zusammengefasst.